Erhitzte Gemüter gab’s zuletzt beim Umweltausschuss: Ausgerechnet ödp und die Grünen haben Bedenken, dass der geplante Beitritt zum „Bündnis für ein klimaneutrales Allgäu 2030“ nicht den erwünschten Effekt bringt. Das Projekt, von Entwicklungshilfeminister Gerd Müller höchstpersönlich unterstützt – eine Mogelpackung?

Alle teilnehmenden Unternehmen und Kommunen zeigen sich als Vorreiter im Klimaschutz und verpflichten sich, bis spätestens 2030 klimaneutral zu werden. Die beiden wichtigsten Ziele der Bündnispartner: CO2-Emissionen VERMEIDEN und REDUZIEREN. Der dritte Schritt lautet KOMPENSIEREN von unvermeidbaren Restemissionen durch zertifizierte Projekte. Klingt eigentlich gut. Wo liegt nun das Problem?

Nun, es gibt zwei Haken an der Sache: Zunächst einmal liegt die Einschätzung, was „unvermeidbar“ ist, bei den Unternehmen und Kommunen. Wie viel CO2 tatsächlich vermieden und reduziert wird, beruht auf Freiwilligkeit und ist zudem für Außenstehende nicht transparent. Die Unternehmen und Kommunen können auch durch reine Kompensation die sofortige Klimaneutralität erreichen – verpflichtend ist nur das Ziel. Von Vorreiterrolle kann in diesem Fall dann sicher keine Rede sein. Denn Kompensation sollte nur für UNVERMEIDBARE Emissionen erfolgen, sonst muss man sich den Vorwurf des Ablasshandels auch gefallen lassen. Die Deutsche Umwelthilfe nimmt zum Thema Kompensation wie folgt Stellung: „Reine Kompensation bringt Deutschland auf lange Sicht beim Klimaschutz nicht voran, denn unsere Lebens- und Wirtschaftsweise auf Kosten des Klimas zementiert sich dadurch. (…) Was wir wirklich brauchen, ist ein Handeln hier und jetzt!”

Nun kommt das zweite Haken: die Frage nach sinnvollen Kompensationsprojekten. Geplant sind hauptsächlich zertifizierte Projekte in Entwicklungsländern, insbesondere Afrika. Zusätzlich wird auch über eine lokale Komponente nachgedacht. Wieder ein Thema, mit dem ich mich bisher wenig beschäftigt habe. Freunde, die sich gut auskennen, bestätigen mir, dass wirklich sinnvolle Kompensations-Projekte selten sind und händeringend gesucht werden bzw. richtiggehend „aus dem Boden gestampft“ werden, denn der wachsende Bedarf übersteigt bei weitem das Angebot. Zum Thema Kompensation habe ich eine interessante Aussage von Rainer Grießhammer im „Klimareporter“ gefunden:

„(…) Unabhängig davon ist der mögliche Beitrag von Kompensationen zum Klimaschutz schon von der Struktur her gering. Die zehn größten Industrieländer verursachen rund 66 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. Wenn nun alle anderen Länder der Welt ihre CO2-Emissionen von insgesamt 34 Prozent mit Kompensationsprojekten auf null senken könnten – eine schon irrwitzige Vorstellung –, würden die weltweiten CO2-Emissionen immer noch bei den 66 Prozent der zehn Industrieländer liegen. Der Klimaschutz muss also schon „Made in Germany“ sein. Im Kern können die CO2-Einsparungen nur durch Maßnahmen im eigenen Land erreicht werden – wie Kohleausstieg, Gebäudesanierung, Tempolimit.“

Also doch besser Klimaschutz „Made in Allgäu“! Nun gut, der Kohleausstieg ist hier in Kempten weniger das Thema (außer der Beteiligung des AÜW an Kohlekraft, siehe Forderungen KMH). Doch wenn ich’s mir recht überlege, gäbe es doch in Kempten und der Region genug Möglichkeiten zur CO2-„Kompensation“ bzw. -Einsparung – die sind halt leider nicht tauglich zur Zertifizierung im klassischen Sinne. Und es ist auch nicht so billig und bequem wie die Überweisung von lächerlich geringen Beträgen in Entwicklungsländer, die vermutlich dort in erheblichen Teilen von Bürokratie aufgefressen werden.

Man könnte das Geld in Kempten und der Region meines Erachtens durchaus sinnvoll einsetzen: Wieso lässt man nicht die Unternehmen Radwege spenden oder ÖPNV-Tickets (mit-)finanzieren? Oder Carsharing-Modelle unterstützen? Dienstfahrrad-Leasing oder Job-Tickets für Mitarbeiter zur Verfügung stellen? Man könnte analog zur eza! ein Umweltberatungszentrum von dem Geld einrichten, mit Garten-/Bank-/Versicherungs-/Haushalts-/Konsumberatung für Bürger und Unternehmen, Baumschutz unterstützen (Bäume hier stehen lassen statt abzuholzen und irgendwo auf der Welt neue Bäume zu pflanzen) oder Stadtbäume pflanzen (z.B. in der Salzstraße oder auf dem Hildegardplatz, da wäre noch Platz :-). Oder in großem Stile Fassadenbegrünung finanzieren. Vielleicht könnte man ja sogar die Regionalbahn durch „Kompensations-Sponsoring“ bezahlen…

Dass Kempten selbst zunächst mit Tempolimits, Einschränkung des Autoverkehrs, verbindlichen Vorgaben für energieeffizientes Bauen (v.a. auch für die Wohnungsbaugenossenschaften) und den massiven Ausbau von Radwegen und ÖPNV genug Möglichkeiten zur CO2-Einsparung hat, liegt ja eh auf der Hand.

Man müsste halt mit ein bisschen Fantasie und weniger Bürokratie – und echtem Mut zur Veränderung – vorgehen. Womit wir wieder bei „Mehr Mut!“ wären…